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Nuancen vergeblich gesucht

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In den Niederlanden fordert ein Manifest die Linke zur Rückkehr zu ihren säkularen Wurzeln auf.

“Gruppendenken spaltet das Land. Die nationalistische Rechte labt sich an Nationalromantik, und die regressive Linke antwortet mit einer ebensowenig verbindenden Erzählung von Identitätpolitik. Die Gruppe verdrängt sowohl Nation als auch Individuum. Die progressive Linke, gestützt auf universelle Werte und Fortschritt, schnappt wie ein schwer Verwundeter nach Luft.”

 

Diese Beschreibung bezieht sich nicht auf eine dystopische Zukunft; vielmehr skizziert das “Manifest der Freien Linken”, Mitte Mai in der Tageszeitung Volkskrant publiziert, nach Meinung seiner Verfasser die niederländische Gegenwart. Kennzeichen: “wachsende Polarisierung und Segregation” sowie “ethnisch- religiöse Gegensätze”. Das Gegen- Gift zur düsteren Bestandsaufnahme wird gleich mitgereicht: eine Gesellschaft “mündiger, selbstständiger Bürger”, in der die “Freie Linke” zu ihren “freisinnigen, säkularen Wurzeln” zurückfindet. Ganz in der Nachfolge Spinozas und der Aufklärung.

 

Der Eindruck, man habe hier es vor allem mit einem philosophischen Meta- Diskurs zu tun, täuscht. Schon zwischen den einleitenden Zeilen finden sich Verweise auf die latent hitzige Auseinandersetzung um Integration in den Niederlanden. Hier die anhaltende Konjunktur ationalistischer Politiker wie Fortuyn, Wilders und dem neurechten Aufsteiger Thierry Baudet, dort die oft als “Migrantenparteien” wahrgenommenen “DENK” oder “Nida”, die neben ihrem Diversitäts- Mantra unverhohlen auf türkische, bzw islamische Identitätspolitik setzen.

 

Das Manifest, erstellt von Schriftsteller Asis Aynan, Schauspielerin Femke Lakerveld, Regisseur Eddy Tersatll und der früheren sozialdemokratischen Abgeordneten Keklik Yücel, benennt dies nicht en detail – die Referenz ist überdeutlich. Zumal recht bald der Satz folgt, der in kürzester Zeit zum Zankapfel der Erklärung wird: “Die Freie Linke distanziert sich von der Annahme, nicht- westliche Niederländer müssten vor einer freien Debatte in Schutz genommen werden, weil sie noch nicht bereit sind für die Äußerungen der Modernität. “ Wer so denke, heißt es, mache sich eines “Rassismus der niedrigen Erwartungen” schuldig.

 

Nun ist es pasiert: das R- Wort ist genannt. Ünd die “Freie Linke” macht diesbezüglich eine deutliche Ansage: die “Gleichwertigeit des Menschen unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung und Lebensanschauung ist die Basis für das kompromisslose Anti- Diskriminierungsprinzip”.

 

Die empörten Reaktionen auf das Manifest waren im seit anderthalb Jahrzehnten aufgeheizten Diskurs der Niederlande, vorhersehbar. Ein Kommentar auf der linksradikalen Website krapuul.nl kritisiert es als “hinterhältigen Aufruf gegen Die Muslime” und “rassistisches Geschichtchen”, da es auf “Gläubige unter dunkelhäutigen Menschen” abziele. Verwiesen wird auch auf religiös- ethische Wurzeln europäischer, nord- und lateinamerikanischer Linker sowie antikolonialer Befreiungsbewegungen.

 

Die “Freie Linke” strebt einen Staat von neutraler Weltanschauung, in dem weder religiöse noch profane Ideen über Kritik erhaben” sind. “Was für den einen eine Beleidigung ist, kann für den anderen eine neue Beobachtung oder Analyse sein”, heißt es. Säkularer Unterricht für alle Kinder und die Abschaffung von partikularen Religions- Fächern ist eine weitere ambitionierte Forderung. Ebenfalls überflüssig: die gesonderte Erwähnung von Religionsfreiheit in der Verfassung: “dies bevorzugt jene, die zu einer der großen Religionen zählen.” Zudem sei Religionsfreiheit durch Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungsfreiheit- und Demonstrationsrecht ausreichend gewährleistet.

 

Allesamt sind dies durchaus relevante Aspekte für eine inhaltliche Auseinandersetzung, die auch umgehend einsetzte. Auf der Website sargasso.nl wirft der Journalist Marcel Hulspas den Autoren “Arroganz” vor: sie wollten nur jene zur Debatte zulassen, die sich von “Hintergrund, Vergangenheit und Kultur” befreit hätten und aus rein individueller Warte teilnähmen. Auch vermutet er im Ziel “nicht- westliche Niederländer” nicht vor freiem Diskurs zu beschützen ein “Codewort für westliche Überlegenheit”.

 

Im NRC Handelsblad bezieht sich auch die Kolumnistin Lamyae Aharouay auf die betreffende Passage: “wenn es eine Gruppe gibt, über die in den letzten Jahren so ungefähr alles gesagt und geschrieben wurde, bis hin zur größten Erniedrigung und Verletzung, sind das die nicht- westlichen Niederländer.” Dann enthüllt sie die vermeintlich wahre Intention der “Ritter des Freien Worts”: eigentlich, so Aharouay, gehe es ihnen “natürlich einfach um Muslime”. Die zu “bashen” sei im Land politisch korrekt.

 

Nun ist es unbestritten, dass rassistische Ausfälle gegen Muslime ein Wesensmerkmal gerade des niederländischen Rechtspopulismus sind. In großen Teile der hiesigen Linken löst dies eine reflexhafte Verteidigung aus, die oft schon bei einer kritischen Auseinandersetzung mit islamischen Inhalten einsetzt. Eine Unfähigkeit zur Nuancierung, die sich exemplarisch etwa im Fall Ehsan Jami zeigt. Der Sohn pakistanischer Migranten trat den Sozialdemokraten bei, gründete 2007 im Alter von 22 ein”Komitee der Ex- Muslime” und überwarf sich mit der PvdA. Wenig später landete er bei der Partij voor de Vrijheid. Inwischen sitzt Jami für die rechtspopulistische Partei Leefbaar Rotterdam im dortigen Stadtrat.
Es ist nicht zuletzt diese Dynamik, der sich das Manifest widersetzen will. Die Debatte unter Publizisten und auf Social Media- Kanälen hat es tatsächlich angeheizt, wenngleich mit vielfach reflexhaften Vorwürfen. Der Auseinandersetzung mit der Frage nach Säkularität wird man freilich nicht entkommen. Dafür spricht schon die jüngste Annäherung linker Parteien in Rotterdam an die “islamisch inspirierte Partei” Nida. Ihre durchaus ambitionierte Anti- Diskriminierungs- Agenda verknüpft sie mit der Forderung nach nicht näher benannten “Orten der Besinnung” im Öffentlichen Raum.

 

 

Erschienen in Jungle World, 31. Mai 2018

 


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